Wien (OTS) – Trotz des schwierigen internationalen Umfelds und
geopolitischer
Risiken präsentiert sich die Konjunktur in den Volkswirtschaften
Mittel-, Ost- und Südosteuropas vergleichsweise robust. In Rumänien,
der Slowakei und Ungarn drücken aber hohe Budgetdefizite, die
industrielle Schwäche Deutschlands und hausgemachte Probleme auf das
Wachstum. Bei den Kriegsgegnern Russland und der Ukraine fällt es
ebenfalls schwach aus. Das zeigt die neue Herbstprognose des Wiener
Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) für 23
Länder der Region.

In den östlichen EU-Staaten verschiebt sich die Basis der
wirtschaftlichen Dynamik: „ Während bisher der private Konsum der
Haupttreiber des Wachstums in den EU-Mitgliedern Ostmitteleuropas
war, gehen wir davon aus, dass angesichts eines abkühlenden
Reallohnwachstums die Investitionen privater Firmen und der
öffentlichen Hand an Bedeutung gewinnen “, sagt Richard Grieveson,
stellvertretender Direktor des wiiw und Hauptautor der
Herbstprognose.

Auch die stark steigenden Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten
in der Region stützen das Wachstum. So rechnet das wiiw damit, dass
diese Länder in den kommenden Jahren daraus im Jahresdurchschnitt
einen zusätzlichen Wachstumseffekt von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten des
BIP erzielen dürften – Länder wie Polen und die baltischen Staaten
unter Umständen sogar noch mehr. „ Von der Wiederbewaffnung Europas
werden auch die Osteuropäer wirtschaftlich profitieren, weil sie
traditionell über eine starke Rüstungsindustrie verfügen. Das könnte
ihnen dabei helfen, ihre industrielle Basis zu modernisieren und die
notwendige Transformation in Richtung eines innovationsbasierten
Wachstumsmodells erfolgreich zu meistern “, erklärt Grieveson.

Unterm Strich prognostiziert das wiiw den EU-Mitgliedern der
Region für 2025 ein Wachstum von durchschnittlich 2,2%, eine minimale
Revision nach unten um 0,1 Prozentpunkte gegenüber dem Sommer. 2026
sollte es auf 2,6% anziehen, ebenfalls eine leichte Revision nach
unten um 0,2 Prozentpunkte. Damit dürften diese Länder sowohl heuer
als auch im nächsten Jahr ihren wirtschaftlichen Aufholprozess
fortsetzen und erneut deutlich schneller wachsen als die Eurozone (
2025: 0,9%; 2026: 1,4%).

Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn
sowie Slowenien werden 2025 im Durchschnitt um 2,5% expandieren und
ihr Wachstum 2026 auf 2,9% beschleunigen können. Spitzenreiter unter
den östlichen EU-Mitgliedern ist und bleibt Polen mit einem
Wirtschaftswachstum von 3,5% – sowohl 2025 als auch 2026. Es folgen
Kroatien und Bulgarien mit jeweils rund 3% Wachstum im heurigen und
im kommenden Jahr, während sich die Aussichten für Rumänien
eingetrübt haben (2025: 0,8%; 2026: 1,2%). Immer noch gut läuft es
hingegen bei den sechs Staaten am Westbalkan, die 2025 im Schnitt um
2,5% und 2026 um 3,4% zulegen sollten, auch wenn Serbien 2025 einen
Wachstumseinbruch verzeichnet. Die Türkei wächst heuer und im
nächsten Jahr wieder relativ stark (2025: 3,4%; 2026: 3,9%).

Für die vom Krieg gezeichnete Ukraine verdüstern sich die
Aussichten dagegen zusehends: 2025 dürfte sie nur noch um 2% wachsen
und 2026 um 3%, wobei sehr viel vom weiteren Kriegsverlauf abhängt.
Aggressor Russland steuert aufgrund der restriktiven Geldpolitik der
Zentralbank und niedrigerer Ölpreise auf eine Beinahe-Stagnation zu (
2025: 1,2% BIP-Wachstum; 2026: 1,4%).

Zwtl.: Hohe Budgetdefizite und Russlands hybrider Krieg als Risiken

Es gibt zwei große Risiken für die Prognose: Da wären zum einen
die hohen Budgetdefizite in einigen Staaten der Region – vor allem in
Rumänien, Ungarn, Polen und der Slowakei. Steigende Zinsen auf ihre
Staatsanleihen und die EU-Fiskalregeln zwingen die betroffenen
Regierungen zum Sparen, was sich negativ auf das Wachstum auswirken
könnte. Zum anderen destabilisiert Russland mit hybriden Angriffen
und Sabotageakten im Windschatten seines Ukraine-Feldzugs die Länder
in der unmittelbaren Nachbarschaft. „ Drohnenüberflüge, Cyberattacken
und Anschläge in den EU- und NATO-Mitgliedsstaaten Osteuropas sorgen
für Verunsicherung und schrecken Investoren natürlich ab. Für die
Stimmung ist das desaströs. In Wahrheit befinden sich diese Länder
bereits in einem unsichtbaren Krieg mit Russland, was früher oder
später auch negative Auswirkungen auf ihre Wirtschaft haben könnte “,
meint Richard Grieveson.

Zwtl.: Ukraine im Abwärtssog des Krieges

Hauptleidtragende der russischen Aggression ist aber nach wie vor
die Ukraine. Das wiiw prognostiziert dem Land für 2025 ein
Wirtschaftswachstum von 2%, eine Revision nach unten um 0,5
Prozentpunkte gegenüber dem Sommer. Hauptverantwortlich dafür sind
neben dem eskalierenden Krieg die geringeren Agrarexporte, die in
Folge einer schlechten Ernte im letzten Jahr zwischen Jänner und Juli
2025 in US-Dollar gerechnet um rund 9% sanken, wobei sich die
Situation bei den Exporten durch eine bessere Ernte im heurigen Jahr
wieder aufhellen dürfte. 2026 soll die Wirtschaft dann um 3% wachsen,
eine Reduktion der Prognose um einen ganzen Prozentpunkt. Das wiiw
geht dabei davon aus, dass sich der Krieg mit seinen negativen
ökonomischen Auswirkungen noch bis 2027 hinziehen wird – wesentlich
länger als bisher angenommen.

„ Die immer größeren Zerstörungen an der Infrastruktur durch die
schweren russischen Luftangriffe und der grassierende
Arbeitskräftemangel aufgrund von Mobilisierung und Flucht dämpfen die
Wachstumsaussichten der ukrainischen Wirtschaft “, sagt Olga Pindyuk,
Ukraine-Expertin des wiiw. Dazu kommen die düsteren Perspektiven für
den bevorstehenden Winter. „ Sollte es Russland gelingen, in der
Ukraine flächendeckende Ausfälle der Strom- und Gasversorgung
herbeizuführen, wird das zu einer weiteren Auswanderungswelle führen,
mit wiederum negativen Folgen für die Wirtschaft “, so Pindyuk.

Zwtl.: Russlands Wirtschaft vor Stagnation

Aggressor Russland steuert nach zwei guten Jahren auf eine
Beinahe-Stagnation zu. Im heurigen Jahr dürfte die Wirtschaft nur
noch um 1,2% wachsen (2024: 4,3%), eine Revision nach unten um 0,8
Prozentpunkte gegenüber dem Sommer. Für 2026 rechnet das wiiw mit
einer leichten Beschleunigung auf 1,4%. Im ersten und zweiten Quartal
des laufenden Jahres konnte eine technische Rezession (ein
Negativwachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen) nur knapp
vermieden werden. Die Industrieproduktion wuchs mit 0,8% in den
ersten acht Monaten des laufenden Jahres praktisch nur mehr infolge
der immer noch boomenden Rüstungsproduktion.

„ Der Hauptgrund für den Wachstumseinbruch ist die zu restriktive
Geldpolitik der russischen Zentralbank. Sie hat zwar die Inflation
deutlich gesenkt, aber gleichzeitig die Wirtschaft abgewürgt, weil
damit Kredite unerschwinglich wurden “, sagt Vasily Astrov, Russland-
Experte des wiiw. Die Teuerung ist mittlerweile auf annualisiert rund
4% gesunken, was die Notenbank dazu veranlasst hat, die Leitzinsen
neuerlich leicht zu senken. Allerdings befinden sich diese mit 17%
immer noch auf einem sehr hohen Niveau, auch wenn weitere
Zinssenkungen absehbar sind.

Dazu kommen gesunkene Einnahmen aus dem Erdölexport aufgrund
gesunkener Preise und der Umstand, dass die russische Wirtschaft in
vielen Bereichen an ihrer Kapazitätsgrenze operiert. „ Für neues
Wachstum bräuchte man Investitionen in mehr Produktivität. Diese
stagnieren aber. So haben sich die Investitionen in neue Maschinen
und Ausrüstungen, die normalerweise der größte Treiber von
Modernisierung und Produktivitätsgewinnen sind, gerade einmal auf dem
relativ niedrigen Vorkriegsniveau von 2021 stabilisiert “, analysiert
Astrov.

Eine Rolle spielt auch der Sparkurs der Regierung, die ein für
russische Verhältnisse hohes Budgetdefizit eindämmen muss. Russland
wird mit einem Fehlbetrag von 2,5% des BIP heuer das größte
Budgetdefizit seit der COVID-19-Pandemie verbuchen und kann sich nur
im Inland verschulden. Da die Zinsen hoch sind, muss die Regierung
sparen und die Einnahmen erhöhen. Das führte bereits zur Erhöhung der
Steuern auf private Einkommen und Unternehmensgewinne. 2026 wird auch
die Mehrwertsteuer steigen, außerdem sollen die Militärausgaben um 6
Milliarden Euro oder 0,3 Prozentpunkte des BIP gekürzt werden. „
Sinkende Staatsausgaben und Steuererhöhungen werden das Wachstum
natürlich ebenfalls bremsen “, so Astrov.

Zwtl.: Schwächere Wachstumsimpulse für Österreichs Wirtschaft, aber
auch neue Chancen

Trotz einiger Wachstumsrevisionen nach unten kann Österreich im
Großen und Ganzen immer noch optimistisch auf die
Wirtschaftsentwicklung in Osteuropa blicken. Das spiegelt sich auch
in den Exporten in die Region wider, die im ersten Halbjahr um 0,7%
expandierten, während sie insgesamt um 3% sanken. Die Entwicklung
verläuft aber zweigeteilt: Während die für Österreich relevanten
Länder Polen und Tschechien sowie das kleinere Kroatien sowohl 2025
als auch 2026 robust wachsen dürften, werden sich die wichtigen
Handelspartner Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Slowenien heuer –
und mit Ausnahme Sloweniens auch im kommenden Jahr – voraussichtlich
schwächer als die Eurozone entwickeln. Von ihnen sind also kaum
Wachstumsimpulse zu erwarten.

Insgesamt werden die 23 Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa
2025 aber einen positiven Beitrag zum österreichischen BIP-Wachstum
von 0,11% Prozentpunkten leisten. „ Durch den in der Region
stattfindenden Strukturwandel weg vom Modell ‚verlängerte Werkbank’,
das auf niedrigen Lohnkosten basierte, hin zu einem Wachstum, das
mehr auf Investitionen und privatem Konsum beruht, werden
österreichische Unternehmen, die in der Region produzieren, unter dem
Verlust von Wettbewerbsfähigkeit durch die steigenden Lohnkosten
leiden ”, sagt Doris Hanzl-Weiß, Expertin für Österreichs
Wirtschaftsbeziehungen mit Mittel-, Ost- und Südosteuropa am wiiw.

Auf der anderen Seite könnten österreichische Unternehmen, die in
der Region Konsumgüter und Dienstleistungen verkaufen, neue
Geschäftsmöglichkeiten finden, da die Verbraucher schon seit einiger
Zeit mehr Geld zur Verfügung haben. Und: „ Österreichische
Unternehmen dürften auch davon profitieren, dass durch die höheren
Arbeitskosten und den Arbeitskräftemangel die Notwendigkeit von
Investitionen in die Automatisierung der Fertigung steigt ”, so Hanzl
-Weiß.