Wien (OTS) – Einsamkeit ist ein wachsendes gesellschaftliches
Problem, das alle
Generationen betrifft – von Jugendlichen bis zu älteren Menschen.
Laut WHO ist jeder sechste Mensch weltweit von Einsamkeit betroffen,
was zu 871.000 Todesfällen beiträgt, in der EU fühlen sich etwa 13 %
der Befragten, etwa 50 Millionen Menschen, meistens oder ständig
einsam (Loneliness Report der EU). Allein in Österreich sind lt.
Caritas-Studie rund 600.000 Menschen mehr als die Hälfte der Zeit
einsam, jede/r Vierte wünscht sich mehr soziale Kontakte. Um auf die
Gefahren von Einsamkeit und Isolation aufmerksam zu machen und neue
Wege zu finden, Betroffenen zu helfen, lud der Berufsverband
Österreichischer PsychologInnen (BÖP) vor kurzem gemeinsam mit den
wichtigsten Hilfsorganisationen des Landes zum zweiten Round Table
unter dem Titel „Einsamkeit geht uns alle an – JETZT gemeinsam
handeln!“.
Der BÖP und seine Studierendenvertretung BÖP-S haben dabei gemeinsam
mit der Plattform gegen Einsamkeit, der Caritas Österreich, der
Diakonie Österreich, dem Österreichischen Roten Kreuz, pro mente
Austria, dem Österreichischen Hilfswerk, der Armutskonferenz, der
Österreichischen Krebshilfe sowie der Allianz onkologischer
PatientInnenorganisationen die Forderungen eines 10-Punkte-
Maßnahmenpakets erneuert, um gemeinsam gegen die psychosozialen und
gesellschaftlichen Folgen von Einsamkeit vorzugehen. Denn
Depressionen, Angstzustände, Langzeitstress, Demenz, andere
psychische Erkrankungen oder auch Suizid können zu den Folgen von
Einsamkeit zählen – aber auch das Risiko, an Schlaganfällen,
Herzinfarkten oder Diabetes zu erkranken, ist durch Einsamkeit
erhöht.
Nationaler Aktionsplan dringend notwendig
In einem waren sich die Hilfsorganisationen einig – ein nationaler
Aktionsplan ist dringend notwendig: Bund, Länder, Gesundheitswesen,
Gemeinden und Zivilgesellschaft müssen gemeinsam handeln, um
Einsamkeit bestmöglich vorbeugen zu können und Betroffene zu
unterstützen. Insbesondere der Ausbau von niedrigschwelligen,
barriere- und diskriminierungsfreien Angeboten ist hier wichtig,
genauso wie die Förderung der Beteiligung, z.B. von
Freiwilligenarbeit oder generationenübergreifenden Projekten.
Gesundheitssystem hat Schlüsselrolle
Der gemeinsame Tenor der Organisationen beim Round Table war, dass
bei der Bekämpfung von Einsamkeit das Gesundheitssystem eine
Schlüsselrolle spielt: ÄrztInnen, Gesundheitspersonal, PsychologInnen
und Pflegekräfte sind erste Anlaufstellen bei Problemen, können
Betroffene identifizieren und auf Unterstützungsangebote hinweisen –
die Sensibilisierung von MitarbeiterInnen in Gesundheits- und
Sozialberufen wäre hilfreich. Und auch die Stärkung der Forschung in
diesem Bereich ist notwendig, um eine bessere Datenlage zu erhalten,
genauso wie die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation bereits
laufender Projekte und Maßnahmen.
Die 10 Forderungen der Hilfsorganisationen gegen Einsamkeit sind:
–
Ende der Tabuisierung und Stigmatisierung von Einsamkeit
–
Recht auf bevölkerungsspezifische und mehrsprachige Angebote
–
Fokus auf vulnerable Gruppen
–
Ausbau der der kostenfreien, psychologischen Versorgung
–
Appell an soziales Miteinander – Unterstützung von sozialer
Teilhabe und Selbstermächtigung
–
Sensibilisierung im Gesundheitssystem, um Einsamkeit zu
identifizieren
–
Bezifferung der volkswirtschaftlichen Kosten von Einsamkeit
–
Nationaler Aktionsplan
–
Weiterführung und Stärkung der Koordinationsstelle gegen
Einsamkeit
–
Recht auf analoge Angebote und Sichern der Mobilität für ältere
Menschen
Ausführliche Erläuterungen zum 10-Punkte-Forderungskatalog finden
Sie hier .
Im Rahmen der Diskussionsrunde wurden auch Einblicke in die
Perspektiven der verschiedenen Organisationen und ihre Sicht auf die
psychosozialen und gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit und
wichtige Maßnahmen gegeben – ihre Statements dazu hier:
a.o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des
Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP)
„Einsamkeit ist kein individuelles Versagen, sondern
gesamtgesellschaftliche Aufgabe für unser soziales Miteinander und
eine ernsthafte Gesundheitsgefahr, die insbesondere die Psyche
belasten und Angststörungen, Depressionen und andere psychische
Erkrankungen nach sich ziehen kann. Genau hier wollen wir mit unserer
Initiative gemeinsam mit allen relevanten Institutionen ansetzen, um
den Folgen entgegenzuwirken und aufzuzeigen, dass hier gezielte
Maßnahmen und vielfältige Unterstützungsangebote unbedingt
erforderlich sind.“
Emil Diaconu, Initiator der Plattform gegen Einsamkeit und
Geschäftsführer der Social City Wien, sowie Ao. Prof.in Dr.in Karin
Gutiérrez-Lobos, Fachärztin für Psychiatrie & Neurologie und
Mitinitiatorin der Plattform gegen Einsamkeit
„Armut, Migration, Alleinerziehen oder chronische Erkrankungen sind
bekannte Risikofaktoren für Einsamkeit. Hält sie an, macht sie krank
– psychisch wie körperlich und kann die Teilnahme an demokratischen
Prozessen reduzieren. Einsamkeit ist daher kein individuelles,
sondern ein gesellschaftliches Problem. Mit der Plattform gegen
Einsamkeit haben wir mit Unterstützung des Sozialministeriums seit
2021 die österreichweite Anlaufstelle und das zentrale nationale
Kompetenznetzwerk geschaffen. Wir vernetzen Organisationen, stärken
das öffentliche Bewusstsein und entwickeln konkrete Maßnahmen zur
Förderung der Gesundheit und zur Etablierung von Begegnungsräumen.“
Gregor Jakob-Feiks, Leitung Engagement & Sozialräumliche Entwicklung,
Caritas Österreich (in Vertretung von Caritas Österreich-
Generalsekretärin Anna Parr)
„Das Thema Einsamkeit hat es ins Regierungsprogramm geschafft – das
ist erfreulich. Allerdings stehen dort lediglich ältere Menschen im
Fokus. Einsamkeit ist aber ein generationenübergreifendes Thema, das
junge Menschen ebenso stark betrifft. Wir als Caritas möchten daher
vermehrt auch diese junge Zielgruppe mit Angeboten stärken.
Einsamkeit ist ein schmerzhaftes Gefühl, das jeden treffen kann, ganz
unabhängig von Alter, Wohnort oder Lebensphase. Deswegen brauchen wir
einen Nationalen Aktionsplan – das Thema muss als
gesamtgesellschaftliche Herausforderung über alle Ressorts hinweg als
politischer Handlungsauftrag adressiert und ernstgenommen werden!“
Dr.in Maria Katharina Moser, Direktorin Diakonie Österreich
“Die Diakonie arbeitet in Gemeinwesen-Projekten mit Nachbarschafts-
Koordinator:innen, deren Aufgabe es ist, das Gemeinwesen im Blick zu
haben und vorhandene Ressourcen in der Nachbarschaft zu aktivieren.
Die Koordinator:in schaut, dass die Menschen zusammenkommen und sich
gegenseitig unterstützen. Was wir brauchen, sind mehr und nachhaltige
Investitionen in Grätzlarbeit, Nachbarschaftshilfe und
Gemeinwesenprojekte, aber auch mehr Mittel für Community-Arbeit in
der Pflege, Familienhilfe oder in der Begleitung von Menschen mit
Behinderungen.“
ao. Univ.-Prof.in Dr.in Barbara Juen, Fachliche Leiterin der
Psychosozialen Dienste, Österreichisches Rotes Kreuz
„Eine Gruppe, die beim Problem der Einsamkeit oft übersehen wird,
sind Kinder und Jugendliche. Sie dürfen mit ihren Sorgen und Ängsten
nicht allein gelassen werden und benötigen die Möglichkeit, sich mit
anderen dazu auszutauschen. Psychische Erste Hilfe nach dem Prinzip
‚Look, Listen, Link‘ ist eine wesentliche Unterstützung. Zur Hilfe in
psychosozialen Notlagen gibt es die Ö3 Kummernummer oder Angebote des
Österreichischen Roten Kreuzes wie die Peer-to-Peer-Beratung via
Whatsapp (‚time4friends‘), die Individuelle Spontanhilfe, die
Sozialbegleitung und die Team Österreich Tafel.“
PDoz. Dr. Günter Klug, Präsident von pro mente Austria
„Ich kann mit hunderten Likes genauso einsam sein wie mit vielen
Freunden, wenn wir alle nicht mehr mobil sind. Einsamkeit ist also
ein breites Feld. Wie Hunger und Durst zeigt sie uns an, dass uns
etwas Lebensnotwendiges fehlt. In diesem Fall ist es Kontakt,
Beziehung, Wärme und Nähe. In der heutigen Zeit ist es wichtig auf
diese Grundbedürfnisse nicht zu vergessen, denn die langfristigen
Folgen sind Rückzug, und zunehmende psychische, aber auch körperliche
Probleme. Wenn wir alle am Zusammenhalt in unserer Gesellschaft
arbeiten, verbessern wir die Möglichkeiten jedes Einzelnen für sich
einen Weg zu einem erfüllten Leben zu finden.“
Mag.a (FH) Angelika Kuhn, Leiterin des Fachreferats Pflege und
Pflegepolitik, Österreichisches Hilfswerk
„Einsamkeit im Alter ist kein rein ‚individuelles Problem‘, sondern
eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Gerade aus Sicht der
Pflege- und Betreuungskräfte in der mobilen und stationären
Langzeitpflege gilt es, aufmerksam und sensibilisiert für mögliche
Folgen zu sein. Empathische Handeln und konkrete
Unterstützungsmaßnahmen sind entscheidend, um Lebensqualität,
Gesundheit und Teilhabe von Betroffenen nachhaltig zu sichern. Das
Hilfswerk bietet psychosoziale Beratung, Tagesstrukturzentren und
Alltagsbegleitung an.“
Mag. Martin Schenk, Mitinitiator der Armutskonferenz und Psychologe
„Was bei Einsamkeit oft übersehen wird: die Entfremdung; das Gefühl,
sich selbst und der Welt fremd zu werden. Entfremdung verweist auf
Bedingungen, unter denen Menschen sich selbst und ihre Welt nicht
mehr als sinnhaft, gestaltbar oder zugehörig erfahren. Einsamkeit ist
kein individuelles Schicksal, sondern geht uns alle an. Wer etwas
gegen Einsamkeit tut, tut auch etwas für sozialen Zusammenhalt,
Gesundheit und Demokratie.“
Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen
Krebshilfe
„Eine Krebserkrankung greift auch tief in das seelische und soziale
Leben der Betroffenen ein. Viele Patient:innen erleben im Zuge ihrer
Diagnose das Gefühl von Einsamkeit: Freunde und Angehörige ziehen
sich zurück, Gespräche bleiben an der Oberfläche, die Last der
Diagnose wird oft alleine getragen. Gerade deshalb ist die
psychoonkologische Betreuung so wichtig. Sie bietet einen geschützten
Raum, in dem Ängste, Sorgen und Isolation ernst genommen werden.
Diese professionelle Begleitung trägt entscheidend dazu bei, den
Umgang mit der Diagnose zu verbessern und Lebensqualität zu erhalten.
Daher sind der Ausbau und die Finanzierung der psychoonkologischen
Versorgung in ganz Österreich so wichtig. Niemand soll mit der
Diagnose Krebs alleine gelassen werden.“
Anita Kienesberger, Obfrau der Allianz onkologischer
PatientInnenorganisationen
„Leider sind nach wie vor KrebspatientInnen sehr häufig von
Einsamkeit betroffen. Gerade wenn das engere soziale Netzwerk wie
Familie oder Freundeskreis nicht vorhanden ist, oder aus welchen
Gründen auch immer wegbricht, fehlen wichtige Bezugspersonen. Das
wird besonders nach der Therapie auffällig: Viele PatientInnen fallen
dann sprichwörtlich in ein tiefes Loch, weil sie sich nach dem
Krankenhausaufenthalt und guter medizinischer Versorgung nicht nur
alleine gelassen fühlen, sondern tatsächlich vollkommen auf sich
alleine gestellt sind. Es fehlt hier eine Versorgung nach der
Therapie, wie psychologische Angebote, soziale Vernetzung und
professionelle Begleitpersonen, die die PatientInnen unterstützen.
Das ist uns ein großes Anliegen!“
David Berghold, Leiter der Studierendenvertretung des Berufsverbands
Österreichischer PsychologInnen (BÖP-S)
„Gerade junge Menschen sind von Stigmata im Zusammenhang mit
Einsamkeit betroffen: In einem Lebensabschnitt, der oftmals stark mit
Geselligkeit assoziiert wird, stellen Schamgefühle und ein
verminderter Selbstwert aufgrund von Einsamkeitsgefühlen eine große
Belastung dar. Diese Stigmata gilt es sichtbar zu machen und gezielt
abzubauen. Im Forschungsbereich zeigen aktuelle Übersichtsarbeiten,
dass es wirksame Interventionen zur Einsamkeitsreduktion bei jungen
Menschen gibt. Allerdings werden die zugrunde liegenden Programme oft
nur unzureichend beschrieben, was ihre praktische Umsetzung
erschwert. Wir empfehlen deshalb bei zukünftigen Forschungsarbeiten
ein besonderes Augenmerk auf eine detaillierte Darstellung zu legen.“