Wien/Zell am See (OTS) – Es „dauert 20 Sekunden und in diesen
Sekunden können Sie die
Ausbreitung des Todes bannen.“ Der Epidemiologe Didier Pittet äußert
sich über Händehygiene. Fünf bis acht Millionen Menschenleben im Jahr
rette Händehygiene weltweit, zugrunde lägen „konservative
Schätzungen“. Pittet lehrt an den Genfer Universitätskliniken.
Regelmäßig berät er Einrichtungen wie die Weltgesundheitsorganisation
und die französische Präsidentschaftskanzlei. Am 26. Juni 2025
referiert der Medizinprofessor auf dem Internationalen Hagleitner-
Hygieneforum in Zell am See (Österreich). Parat hat Pittet unter
anderem Tipps für den Alltag, wie Händehygiene funktioniert und was
es auf Reisen zu beachten gibt. Folgendes Interview erscheint vorab.
Es behandelt auch globale Herausforderungen: Infektionsschutz solle
nachhaltig greifen, Pittet fordert „Klima-Resilienz“ – so laute das
Gebot der Stunde.

Zwtl.: Interview mit Didier Pittet

Wie viel Menschenleben rettet Händehygiene jedes Jahr weltweit?
Trauen Sie sich eine Schätzung zu? Angenommen, Händehygiene passiert
konsequent und überall auf der Welt: Welches Potenzial ergibt sich?

PITTET: Händehygiene rettet Leben: Millionen. Laut Einschätzung
der WHO und unseren Erfahrungen kann Händehygiene bis zu 50 Prozent
der Krankenhausinfektionen abwenden. Diese Infektionen sind jedes
Jahr für Millionen Todesfälle verantwortlich, speziell in Ländern mit
niedrigem und mittlerem Einkommen. Konservative globale Schätzungen
sagen: Jedes Jahr werden fünf bis acht Millionen Menschenleben durch
effektive Händehygiene gerettet.

Dabei ist das Potenzial wesentlich größer. Würde jede
Gesundheitseinrichtung auf der Welt Händehygiene als Basis vor Ort
implementieren, könnten jährlich Millionen weiterer Leben gerettet
werden – insbesondere von Müttern, Neugeborenen und schwer kranken
Patienten. Diese Basis fehlt oft noch in einkommensschwachen Gebieten
der Welt – mindestens bei der Hälfte der Einrichtungen. Wie ich vor
einigen Jahren gesagt habe: „Händehygiene dauert 20 Sekunden und in
diesen Sekunden können Sie die Ausbreitung des Todes bannen.“

Wie funktioniert Händehygiene richtig? Gibt es im
Gesundheitswesen verpflichtende Standards? Was genau muss ich machen,
wenn ich jemanden im Krankenhaus besuche?

PITTET: Der Goldstandard für Händehygiene im Gesundheitswesen ist
die alkoholbasierte Händedesinfektion. Sie ist schnell, wirksam und
deutlich effektiver als Seife und Wasser gegen die meisten Keime –
samt denen, die tödliche Krankenhausinfektionen verursachen. „Meine
fünf Momente der Händehygiene“ heißt das Framework der
Weltgesundheitsorganisation; es ist der international anerkannte
Standard, der weltweit in Krankenhäusern verwendet wird. Dieser
definiert genau, wann medizinisches Personal und Besucher
Händehygiene praktizieren sollten, um Patienten und sich selbst zu
schützen.

Für Besucher ist es simpel, aber entscheidend: Reiben Sie Ihre
Hände mit alkoholbasiertem Desinfektionsmittel ein, bevor Sie Kontakt
zum Patienten haben und wenn Sie das Zimmer verlassen. Dieser
Zeitpunkt ist jeweils entscheidend, um Folgendes zu verhindern: Dass
Keime in die Umgebung des Patienten gelangen oder von dort aus
verbreitet werden. Seife und Wasser braucht es nur, wenn die Hände
sichtbar verschmutzt sind. Wer als Besucher diese Basisroutine
einhält, wird Teil des Sicherheitssystems – und hilft mit, das
Problem zu lösen.

Sollten Menschen auch privat die Händehygiene ernster nehmen –
etwa auf Reisen? Reicht es privat aus, sich die Hände zu waschen?
Oder gibt es genauso Situationen, in denen ausdrücklich Desinfektion
nottut?

PITTET: Ja, im Privatleben gilt es Händehygiene genauso ernst zu
nehmen – besonders auf Reisen, an belebten Orten und bei
Infektionsausbrüchen. Seife und Wasser bleiben der Standard für zu
Hause, um sich regelmäßig die Hände zu waschen (zumal vor dem Essen
und nach der Toilette). Gleichzeitig empfiehlt sich in vielen
Situationen, alkoholbasiertes Desinfektionsmittel zu verwenden – wenn
es etwa am Zugang zu sauberem Wasser mangelt, in öffentlichen
Verkehrsmitteln oder auf Flughäfen.

Die WHO und Gesundheitsexperten raten tatsächlich dazu, unterwegs
ein Desinfektionsmittel mit sich zu führen; alkoholbasierte
Händedesinfektion ist in bestimmten Kontexten ausdrücklich angeregt:
bevor Sie Ihr Gesicht anfassen, nach dem Kontakt mit gemeinsam
genutzten Oberflächen (wie Türklinken, Touchscreens oder Geld) sowie
speziell bei der Krankenpflege zu Hause.

Kurzum: Zu Hause reichen Seife und Wasser für gewöhnlich aus,
aber unterwegs ist das alkoholbasierte Händedesinfektionsmittel Ihr
bester Schutz.

Zurück zum Gesundheitswesen: Was sind derzeit die größten
Herausforderungen, um vor Infektionen zu schützen? Was kann besser
werden? Wie lautet Ihr Appell? Lautet dieser Appell für jede Gegend
gleich oder gibt es Unterschiede, etwa zwischen Mitteleuropa und dem
Rest der Welt?

PITTET: Zu den wichtigsten Herausforderungen in der
Infektionsprävention gehört heutzutage, Basismaßnahmen wie
Händehygiene überall konsequent zu implementieren – von Hightech-
Krankenhäusern in Europa bis hin zu schlecht versorgten Kliniken rund
um den Globus. Die Instrumente existieren, Evidenz ist vorhanden.
Dennoch untergraben Lücken in puncto Ausbildung, Personal,
Infrastruktur und Mitarbeiterführung oft das Weiterkommen. Laut WHO-
Daten hapert es in fast jeder zweiten Gesundheitseinrichtung mit der
Händehygiene.

In Mitteleuropa sind oft Compliance und Kultur das Thema, in
einkommensschwächeren Gebieten hingegen geht es eher um den Zugang
und die Ressourcen. Mein Appell? Verankern wir die
Infektionsprävention und die Infektionskontrolle fest in den
Institutionen und priorisieren wir beides dort auch entsprechend –
mit der richtigen Mitarbeiterführung, den richtigen Investitionen und
dem richtigen Verantwortungsbewusstsein auf allen Ebenen. Denn jeder
Patient verdient überall, sicher versorgt zu sein – und vermeidbare
Infektionen sollen niemals passieren.

Die Klimakrise ist global betrachtet eine der größten Aufgaben
unserer Zeit. Beeinflusst sie auch die Infektionszahlen? Entwickeln
sich neue Risiken? Worauf gilt es zu achten? Wogegen muss sich das
Gesundheitswesen wappnen?

PITTET: Ja, die Klimakrise formt die globale Landschaft im
Infektionsgeschehen bereits neu. Steigende Temperaturen, extreme
Wetterereignisse und sich verändernde Ökosysteme weiten die
Verbreitung von Krankheiten aus, welche durch Vektoren übertragen
werden [zum Beispiel durch Stechmücken, Zecken und Flöhe, Anm. der
Redaktion]. Denguefieber, Malaria und Chikungunyafieber gehören zu
solchen Krankheiten; sie können neue Regionen erreichen – auch Teile
Europas. Überschwemmungen und Dürren beeinträchtigen außerdem die
Sanitärversorgung und den Zugang zu sauberem Wasser. Dies wiederum
erhöht das Risiko auf Infektionen, welche durch Wasser übertragen
werden. Hinzu kommt das Risiko antimikrobieller Resistenz – sowie das
Risiko, dass Krankheiten bei vulnerablen Personengruppen ausbrechen.

Worauf sollen wir uns vorbereiten? Auf eine Welt, in der
Krankheiten häufiger ausbrechen. Auf eine Welt, in der Ausbrüche
weniger vorhersehbar und schwerer zu kontrollieren sind. Das gilt
speziell in Regionen mit schwachem Gesundheitssystem.
Infektionsprävention muss heute Klima-Resilienz mit einbeziehen:
bessere Überwachung, schnelle Reaktionsfähigkeit, eine solide Wasser-
und Hygieneinfrastruktur sowie eine Gesundheitsversorgung, die
anpassungsfähig bleibt. Die Botschaft lautet: Wer Infektionen im
Zeitalter des Klimawandels bekämpfen will, muss über Mikroben
hinausdenken – und sich auf die Stürme vorbereiten, die sie
übertragen.

Internationales Hagleitner-Hygieneforum 2025

Dieser Fachkongress gilt als Plattform für Hygiene- und
Desinfektionsexperten, Ärzte sowie Pflegekräfte; gemeinsam
beleuchten sie je Termin ein herausragendes Gesundheitsthema. Seit
2017 findet das Symposium statt, jährlich ist es ein fixer
Programmpunkt in Zell am See (Österreich). Das Internationale
Hagleitner-Hygieneforum richtet sich an das gesamte
Gesundheitswesen: Akut-, Arbeits- und Präventivmedizin,
Rehabilitation sowie Langzeitpflege.

Datum: 26. – 27.6.2025, jeweils 11:30 – 13:00 Uhr
Ort: Hagleitner-Akademie
Lunastraße 5, 5700 Zell am See
Url: https://lp.hagleitner.com/de-at/8-ihhf