Wien (OTS) – In Folge der tragischen Erlebnisse in Graz stellen sich
viele Fragen.
Die Drängendste davon ist: Was muss geschehen, damit Kinder und
Jugendliche in Österreich sicher und unterstützt aufwachsen können?
Die Kinder- und Jugendorganisationen Rat auf Draht, das
Österreichische Jugendrotkreuz, die möwe, die Österreichische Liga
für Kinder- und Jugendgesundheit und SOS-Kinderdorf, zeigen gemeinsam
zentrale Anliegen und Handlungsfelder auf, die über das oft zu kurz
greifende Narrativ psychischer Gesundheit hinausgehen. Denn:
Gewaltprävention ist kein Einzelschicksal – sie ist systemisch und
braucht ein Bündel konkreter Maßnahmen.
Rat auf Draht: Psychosoziale Beratung ist systemrelevant
„Unsere Beratungen sind in den letzten Tagen drastisch
angestiegen. Viele Kinder und Jugendliche hatten große Angst, dass
etwas Ähnliches an ihrer Schule oder dem unmittelbaren Umfeld
passieren könnte. Viele Eltern beschäftigen die Gründe für diese Tat
und wie sie mit ihren Kindern am besten darüber sprechen und sie gut
auffangen können. Allen gemeinsam war das Gefühl der Ohnmacht, das
stark spürbar war“, schildert Nora Deinhammer, Geschäftsführerin von
Rat auf Draht die letzten Tage. Das aktuell hohe Beratungsaufkommen
zeigt, wie wichtig und systemrelevant psychosoziale Anlaufstellen für
Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene sind. „Dies gilt
nicht nur für extreme Krisensituationen. Denn psychische Belastungen
sind heute in unserem Lebensalltag allgegenwärtig. Multiple
gesellschaftspolitische Krisen, Zukunftsängste oder auch digitale
Phänomene wie Sextortion oder Cyber-Mobbing, lösen bei jungen
Menschen eine hohe Verunsicherung und Angst aus. Diese Mischung sorgt
dafür, dass sich die Eskalationsschraube immer weiterdreht. „Unser
Hauptanliegen ist, jungen Menschen diese Ohnmacht zu nehmen und
selbstwirksam sein zu können. Denn Kindern und Jugendlichen fehlt es
an den Instrumenten, um damit umzugehen. Es liegt an uns als
Gesellschaft, ihnen diese zu geben“, sagt Deinhammer. Und setzt fort:
„Daher fordern wir: Einen niederschwelligen, flächendeckenden und
dauerhaft finanziell abgesicherten Zugang zu psychologischer und
sozialer Unterstützung – über etablierte Angebote wie etwa Rat auf
Draht , durch mehr Schulpsycholog innen und Schulsozialarbeiter innen
sowie über kostenlose Therapieplätze“, so Deinhammer.
SOS-Kinderdorf: Konsequente Politik für das Wohl von Kindern und
Familien
„So ist SOS-Kinderdorf seit 2014 Träger von Rat auf Draht . Noch
wird das Angebot vor allem durch Spenden finanziert – doch das darf
auf Dauer keine private Aufgabe bleiben. Der Bedarf ist enorm – diese
Hilfen müssen strukturell abgesichert, öffentlich finanziert werden
und allen zugänglich sein“, erklärt Annemarie Schlack,
Geschäftsführerin von SOS-Kinderdorf. Viele der rund 1.800 Kinder und
Jugendlichen, die aktuell in stationären Angeboten von SOS-Kinderdorf
und die mehr als 3.600 weiteren, die gemeinsam mit ihren Familien
betreut werden, haben Gewalt, Vernachlässigung oder emotionale
Instabilität erlebt. „Wir wissen aus unserer täglichen Arbeit: Kinder
brauchen Sicherheit, stabile Beziehungen und ein liebevolles Umfeld“,
betont Schlack. „Deshalb fordern wir: Machen wir den Schutz, die
Beteiligung und das gesunde Aufwachsen von Kindern zur verbindlichen
Leitlinie politischen Handelns und setzten wirksame Maßnahmen.“ SOS-
Kinderdorf sieht akuten Handlungsbedarf in mehreren Bereichen. So
braucht es eine nachhaltige Stärkung von Familiensystemen. Wenn
berufstätige Eltern kaum mehr in der Lage sind, die Grundbedürfnisse
ihrer Kinder abzusichern und kleine Krisen ganze Familiensysteme aus
dem Gleichgewicht bringen, ist strukturelles Gegensteuern gefragt,
auch finanziell. „Die geplante Aussetzung der Valorisierung von
Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld setzt genau hier ein
falsches Signal. Wer das Kindeswohl ernst nimmt, muss Familien
stabilisieren – finanziell, sozial und strukturell“, fordert Schlack.
Österreichisches Jugendrotkreuz: Präventionsangebote in Schulen
und verbindliche Jugendarbeit stärken
„Um einem gesunden und sicheren Aufwachsen nachzukommen ist es
wichtig, auf Prävention zu setzen“, sagt Sonja Kuba, Leiterin des
Österreichischen Jugendrotkreuzes. Kompetenzen, die in
Präventionsprogrammen erlernt werden, tragen dazu bei, mit
Ausnahmesituationen besser umzugehen und stärken die eigene
Handlungsfähigkeit, um sich und anderen in Notfällen zu helfen. Einen
Beitrag dazu kann das Lernen von wichtigen (Über)Lebenskompetenzen
wie jener der Ersten Hilfe sein. „Rund 90.000 Schüler:innen machen
mit dem Österreichischen Jugendrotkreuz pro Jahr einen Erste-Hilfe-
Kurs an ihrer Schule, hier wäre noch mehr möglich“, sagt Kuba. Ebenso
gibt es bereits verschiedene Angebote im Bereich der Psychischen
Gesundheit, allerdings fehlt oftmals Finanzierung, um diese
flächendeckend anbieten zu können. Mit den Angeboten von Psychischer
Ersten Hilfe über das Jugendrotkreuz konnten im letzten Jahr mehr als
5.000 Jugendliche der Sekundarstufe zwei Workshops besuchen und erste
wichtige Kompetenzen erlernen, um auf die eigene psychische
Gesundheit, aber auch auf jene anderen Menschen zu achten. Angebote
wie dieses müssten ausgebaut und im besten Fall auch auf jüngere
Zielgruppen umgelegt werden, wie auch im Sinne der
Chancengerechtigkeit, speziell in vulnerablen Zielgruppen besser
verankert werden. Kuba: „Es braucht einen systemischen Ansatz, der
bereits frühzeitig Kompetenzvermittlung zur psychischen Gesundheit in
den Fokus rückt“.
Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit und die
möwe Kinderschutz: Gewaltprävention, Ausbau von Schulgesundheit,
medienethische Richtlinien, Waffenbesitz für Privatpersonen nur mehr
bei besonders begründetem Bedarf
Prävention ist auch für Hedwig Wölfl, Vizepräsidentin der
Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit und Leiterin
der möwe, ein essenzieller Kernpunkt ihrer Forderungen: „Kinder
sollen ab der ersten Schulstufe qualitätsgesicherte und
altersentsprechende Gewaltpräventionsworkshops zu den Themen
gewaltfreie Kommunikation, beziehungsförderndes Verhalten,
konstruktive Konfliktlösung, Medienkompetenz, Umgang bei
Grenzverletzungen, Übergriffen und Mobbing und sexuelle
Bedürfniswahrnehmung erhalten“. Zudem sollen multiprofessionelle
Schulgesundheitsteams (Schulpsychologie, Schulsozialarbeit, school
nurses, etc.) an jedem Standort niederschwellig und durchgängig
verfügbar sein. Eine Evaluierung der Kinderschutzkonzepte sowie
standortspezifische Risikoanalysen und zusätzliche Schulungen der
Kinderschutzbeauftragten seien ebenso dringend nötig. Gerade weil in
einigen (sozialen) Medien die bilddominierte Berichterstattung
entgleist, wären medienethische Selbstbeschränkungen und Richtlinien
– sowie nach Suiziden – auch rund um derartige tödliche Angriffe ein
wichtiger präventiver Beitrag gegen Nachahmungstaten. Zuletzt spricht
sich Wölfl im Sinne des Opfer- insbesondere Kinderschutzes auch dafür
aus, dass Privatpersonen nur mehr bei besonders begründetem Bedarf
eine Waffe besitzen dürfen. „In Bezug auf die aktuell geltenden
Bestimmungen sind ausführlichere, nicht beliebig wiederholbare
psychologische Testungen inklusive eines verpflichtenden
Explorationsgesprächs, namentliche Registrierung der Testung und
Gegencheck mit anderen