In einer Welt, die von geopolitischen Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheit geprägt ist, überrascht Osteuropa mit einer bemerkenswert robusten wirtschaftlichen Entwicklung. Doch hinter den positiven Schlagzeilen verbergen sich komplexe Herausforderungen, die die Zukunft der Region prägen könnten. Am 22. Oktober 2025 veröffentlichte das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) seine Herbstprognose, die ein differenziertes Bild der wirtschaftlichen Lage in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zeichnet.

Ein Blick auf die Zahlen: Wachstum mit Einschränkungen

Die wiiw-Prognose zeigt, dass die Volkswirtschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas trotz des schwierigen internationalen Umfelds und geopolitischer Risiken vergleichsweise robust sind. Für 2025 wird ein durchschnittliches Wachstum von 2,2 % erwartet, das sich 2026 auf 2,6 % erhöhen könnte. Diese Zahlen klingen vielversprechend, insbesondere im Vergleich zur Eurozone, die für 2025 nur ein Wachstum von 0,9 % und für 2026 von 1,4 % prognostiziert.

Regionale Differenzen: Gewinner und Verlierer

Die Visegrád-Staaten, bestehend aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn, sowie Slowenien, sollen 2025 um durchschnittlich 2,5 % wachsen und 2026 sogar um 2,9 %. Polen bleibt der Spitzenreiter mit einem prognostizierten Wachstum von 3,5 % sowohl 2025 als auch 2026. Im Gegensatz dazu sieht die Lage in Rumänien düsterer aus, mit einem erwarteten Wachstum von nur 0,8 % im Jahr 2025.

Herausforderungen: Budgetdefizite und geopolitische Spannungen

Doch nicht alles ist rosig. Hohe Budgetdefizite in Ländern wie Rumänien, Ungarn und der Slowakei sowie die industrielle Schwäche Deutschlands drücken auf das Wachstum. Steigende Zinsen auf Staatsanleihen und die EU-Fiskalregeln zwingen diese Länder zu Sparmaßnahmen, die das Wachstum weiter beeinträchtigen könnten.

Russlands Einfluss: Ein unsichtbarer Krieg

Ein weiteres Risiko stellt Russlands hybrider Krieg dar, der durch Drohnenüberflüge, Cyberattacken und Sabotageakte in den EU- und NATO-Mitgliedsstaaten Osteuropas Investoren abschreckt. Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des wiiw, warnt: „In Wahrheit befinden sich diese Länder bereits in einem unsichtbaren Krieg mit Russland, was früher oder später auch negative Auswirkungen auf ihre Wirtschaft haben könnte.“

Ukraine und Russland: Wirtschaft im Schatten des Krieges

Die Ukraine, schwer gezeichnet vom Krieg, sieht sich mit einer düsteren wirtschaftlichen Zukunft konfrontiert. Für 2025 wird ein Wachstum von nur 2 % erwartet, das 2026 auf 3 % ansteigen könnte. Viel hängt vom weiteren Kriegsverlauf ab. Die russische Wirtschaft hingegen steuert nach zwei relativ guten Jahren auf eine Beinahe-Stagnation zu.

Einfluss auf Österreich: Schwächere Impulse, aber neue Chancen

Österreichs Wirtschaft kann trotz einiger Wachstumsrevisionen optimistisch auf die Entwicklung in Osteuropa blicken. Die Exporte in die Region expandierten im ersten Halbjahr um 0,7 %, während sie insgesamt um 3 % sanken. Österreichische Unternehmen könnten von der Notwendigkeit profitieren, in die Automatisierung der Fertigung zu investieren.

Zukunftsausblick: Chancen und Risiken

In den kommenden Jahren könnte Osteuropa von der Wiederbewaffnung Europas profitieren, da die Region traditionell über eine starke Rüstungsindustrie verfügt. Dies könnte helfen, die industrielle Basis zu modernisieren und in Richtung eines innovationsbasierten Wachstumsmodells zu transformieren. Doch die Herausforderungen bleiben: Hohe Budgetdefizite, geopolitische Spannungen und der Einfluss Russlands sind Risiken, die das Wachstum dämpfen könnten.

Expertenmeinungen: Ein gemischtes Bild

Olga Pindyuk, Ukraine-Expertin des wiiw, betont die negativen Auswirkungen des Krieges auf die ukrainische Wirtschaft, während Vasily Astrov, Russland-Experte des wiiw, die restriktive Geldpolitik der russischen Zentralbank als Wachstumsbremse identifiziert. Beide Experten sind sich einig, dass die wirtschaftliche Zukunft der Region von vielen Unsicherheiten geprägt ist.

Insgesamt zeigt die wiiw-Herbstprognose ein komplexes Bild der wirtschaftlichen Lage in Osteuropa. Während einige Länder von robustem Wachstum profitieren, kämpfen andere mit erheblichen Herausforderungen. Die Zukunft der Region hängt von vielen Faktoren ab, darunter geopolitische Entwicklungen, wirtschaftspolitische Entscheidungen und die Fähigkeit der Länder, sich an ein sich schnell veränderndes globales Umfeld anzupassen.